Wer sich auf einen spirituellen Pfad begibt, der wird in regelmäßigen Abständen von Zweifeln heimgesucht. Zweifel und Vertrauen stehen in einem Spannungsverhältnis. Weises Überprüfen von Lehrern und Lehre verhindern, dass man Aberglauben und falschen Lehren aufsitzt. In diesem Sinne ist Zweifel hilfreich. Zweifel verhindert aber auch, dass man sich voll engagiert. Aber wo hört der Zweifel auf, hilfreich zu sein, und wird zur Belastung?
Wenn man ehrlich und tief in sich hinein schaut, stellt man fest, dass ein übertriebener "skeptischer Zweifel" häufig damit verbunden ist, dass man das Haar in der Suppe sucht oder den Fokus bewusst auf das negative richtet. Der skeptische Zweifel möchte sich nicht ändern oder neues erforschen sondern sucht häufig nur die Bestätigung seiner negativen Sichtweise. Deshalb ist diese Art von Zweifeln nicht heilsam und für die spirituelle Entwicklung auch nicht förderlich. Kritik und Zweifel sind wichtig, jedoch sollte man sie nicht zur Zweifelsucht ausarten lassen. Zweifel ist im Geist häufig mit Neid und Schmerz verbunden.
Speziell bei der Meditation gilt Zweifel als klassisches Hindernis. Zweifeln kann man an sich selber, seinen Fähigkeiten, den Lehrern oder dem Dharma insgesamt. Zweifel kann in der Meditation aber auch produktiv genutzt werden: "Zweifel ist eine Kette von Worten im Geist, oft assoziiert mit einem subtilen Gefühl von Furcht oder Widerstand. ... Wenn wir lernen, Zweifel als einen gedanklichen Prozess achtsam zu betrachten, wenn wir notieren "Zweifel, Zweifel", und wenn wir uns nicht in den gedanklichen Inhalt involvieren lassen, passiert eine wunderbare Transformation: Zweifel selber wird zur Quelle des Bewusstwerdens. Wir können eine Menge über die nicht beständige, unfassbare Natur des Geistes lernen, wenn wir den Zweifel beobachten. ... Wenn wir im Zweifel gefangen sind, dann erfahren wir großes Leid. Und in dem Moment, in dem wir den Zweifel ohne Anhaften spüren, wird unser Geist freier und leichter."1
Skeptischer Zweifel kann durch die Entwicklung von gläubigem Vertrauen ausgeglichen werden. Um das zu entwickeln, kann man mit buddhistischen Lehrern oder Freunden sprechen oder wichtige Bücher lesen.
Nützlich ist der so genannte "große Zweifel", " der tiefe Wunsch, seine wahre Natur zu erkennen ... Diese Art Zweifel ist eine Quelle von Energie und Inspiration in unserer Praxis. ... Ein Geist des Erforschens und tiefen Fragens ist ein notwendiger Bestandteil für die Belebung und Vertiefung unserer spirituellen Praxis und um zu verhindern, dass sie nur imitativ ist".1
Dieser "große" oder "produktive" Zweifel ist in seiner Natur forschend, im positivem Sinne neugierig und auch bereit, zu hinterfragen und zeichnet sich durch eine offene Geisteshaltung aus. Dieser Zweifel untersucht, ist im Dialog mit anderen (Lehrer, buddhistische Gemeinschaft etc.) und erfrischt, weil er ein neues Denken hervorbringt. Er kann dazu führen, dass man die Schriften genau liest und sich im Studium mit anderen austauscht und dadurch inspiriert wird.
Zweifel kommen und gehen, sie können aber auch einen Katalysator im Prozess des Gläubigen Vertrauens (Sraddha) darstellen. Somit können sie, richtig genutzt, die spirituelle Entwicklung stärken und inspirieren. Wer allerdings in der Zweifelsucht, dem Kritikastertum verbleibt, der wird es schwer haben, sich zu entwickeln und sich im Extremfall vom Buddhismus abwenden. Bevor das geschieht, sollte man sich einen buddhistischen Freund suchen und offen über seine Befürchtungen und Zweifel sprechen. Vielleicht erkennt man dann die wahre Ursache von Zweifel und entwickelt so Zweifel am Zweifel, wie es Sogyal Rinpoche einmal ausgedrückt hat.
1) aus Joseph Goldstein und Jack Kornfield: Einsicht durch Meditation: Die Achtsamkeit des Herzens, allerdings eigene Übersetzung aus der englischen Ausgabe, S. 54 f.)